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Leser fragen ... Dietmar Kuegler zu Western-Romanen

Leser fragen ....... Dietmar Kügler ...
... zu Western-Romanen

Unsere Leser haben die Gelegenheit ergriffen, Fragen an Dietmar Kuegler zu stellen. Der Autor, Verleger und Experte für die Geschichte des amerikanischen Westens (bisher letztes Buch zum Thema Wagenspuren nach Westen) hat sich wieder einmal die Zeit genommen, ausführlich zu antworten.

Im zweiten von drei Teilen geht es um Western-Romane
...

 

Zauberspiegel-Leser: Fiel es schwer, als Heftromanautor im Zweifelsfall den Kopf freizubekommen, wenn das viele Fachwissen, das Sie hatten, einer Geschichte oder dem Medium an sich im Weg stand?
Dietmar Kuegler: Eigentlich nicht. Auch die reale Frontier-Geschichte hat ja unbestritten ihre romantischen und abenteuerlichen Elemente, sonst wäre der Western-Roman gar nicht entstanden. Bei aller Fantasie – ein realer Bezug war immer da. Ich habe auch beim Roman- oder Exposéschreiben nie mein Wissen um die tatsächliche Geschichte außen vor gelassen. Es musste nur dosiert eingesetzt werden – wie vorher schon einmal beschrieben. Ich behaupte, dass mir das Wissen um die Geschichte geholfen hat. Man fühlt sich beim Schreiben sicherer, lässt seine Figuren besser und souveräner agieren.
Außerdem trennt man automatisch eine erfundene Handlung von der Realität, oder man kombiniert beides in der richtigen Proportion. Ich habe z. B. in meiner John-Gray-Reihe Romane über den Kampf um den Alamo in Texas geschrieben – da spielen erfundene Figuren die Hauptrolle, aber die wahren Ereignisse und die tatsächlichen Gestalten sind integriert. So ist es auch bei Romanen in dieser Reihe über Ereignisse im Bürgerkrieg, über die Schlacht am Little Big Horn oder den Goldrausch. Um es zusammenfassend zu sagen: Viele Informationen, viel Wissen hat noch niemandem geschadet. Es nützt.

Zauberspiegel-Leser: Noch eine Frage zur Serie Fargo von Ben Haas/John Benteen, die Sie im Interview erwähnten. Die Publikationsgeschichte mit den vielen ausgelassenen Originalromanen, die betont entschärfenden Übersetzungen und das abrupte Ende – der letzte angekündigte Band erschien ja später als Lobo-Taschenbuch - scheint ja darauf hinzudeuten, dass der Verlag mit der Serie nicht besonders glücklich war. War das Konzept des historischen Spätwesterns/Abenteuerromans in Deutschland nicht durchzusetzen, oder gab es da andere Gründe?
Dietmar Kuegler: Fargo war in Amerika erfolgreich. Ich denke, dass das deutsche Publikum einfach auf diese „Endzeit-Western“ nicht vorbereitet war und sie deshalb nicht akzeptiert hat. Man hat seine Klischees im Kopf, und der „Wilde Westen“ war eben die Zeit zwischen 1865 und 1890. Dass es noch Anfang des 20. Jh. starke Elemente des „alten Westens“ in Amerika gab, wurde nicht wahrgenommen. John Waynes letzter Film spielte auch in diese Zeit hinein. Ich denke, dass die tragenden Elemente der „guten alten Western“ fehlten, die freie Weide, der weite Horizont, die Einsamkeit der Wildnis, die den Westernpionier geprägt hat.
Handlungen in Südamerika sind nie gut angekommen, schon Mexiko-Western waren immer problematisch. Westernhelden, die mit Maschinengewehren oder halbautomatischen Pistolen schossen, waren zumindest irritierend.
Hinzu kam: Bei Fargo hatten die Menschen sich verändert. Sie waren keine Pioniere mehr. Das Land war besiedelt, und die Konflikte beruhten schon auf industriellen Komplexen wie Ölfunden o. ä. Schon der Goldrausch von Alaska hat – außer in den Romanen von Jack London – keinen Western-Leser hinter dem Ofen hervorgelockt. Die handelnden Gestalten trugen viele Charakteristika der modernen Zivilisation in sich. Ihre Moral war nicht unbedingt vorbildlich, hatte auf jeden Fall mit der Moral der alten Westernhelden nichts mehr zu tun. Keine Cowboy-Ehre. Es fehlte auch die Botschaft des Western, dieser alles durchdringende Geist der Pioniere, etwas aufbauen, zu neuen Grenzen vorstoßen, eine neue Welt bauen und eine sichere Zukunft schaffen zu wollen. Das alles war zwar sehr realistisch, aber eben auch ernüchternd. Es fehlte das Flair, die Romantik, die den Western groß und einzigartig macht.

Zauberspiegel-Leser: Wie war das mit dem Jugendschutz, der zu dieser Zeit ja gerade die Heftromane im Visier hatte? Hat man da ständig die Schere im Kopf benutzt, auch wenn es die betreffende Geschichte kaputt gemacht hat, oder hat man drauflos geschrieben und es darauf ankommen lassen?
Dietmar Kuegler: Dieser Aspekt ist immer übertrieben dargestellt worden. Komischerweise kursierten schon damals Gerüchte – die sich teilweise bis heute halten -, Ronco sei so eine „harte Serie“ gewesen, dass ständig Romane indiziert worden wären. Das ist absoluter Quatsch und hängt vermutlich mit der frühen Typisierung als „Italo-Western-Serie“ zusammen. Es wurde der Eindruck erweckt, Ronco lebe – wie die Italo-Western-Filme – allein von breit ausgewalzten Brutalitätsszenen. Leute, die die Romane gar nicht gelesen haben, behaupteten schon damals, wir hätten Gewaltorgien gefeiert und uns grausam im Blut gesuhlt. Alles Blödsinn. Jeder, der die Serie kennt und gelesen hat, weiß, dass es harte Action gab, aber keine Exzesse.
Das wäre gar nicht gegangen; denn in der Tat waren die Regeln ziemlich strikt. Die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ in Bad Godesberg hatte Richtlinien erlassen, an die die Verlage (und Autoren) sich hielten. Wären wir ständig beanstandet worden, hätte die Reihe ein schnelles Ende gefunden, weil es für den Verlag verdammt teuer geworden wäre.
Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir eine „Schere im Kopf“ hatten. Wir kannten die Vorschriften. Wir wussten, dass man keine Gewaltszenen nur um der Gewalt willen oder um einen Effekt zu erzielen verwenden durfte. Das war auch nie unsere Absicht. Wir wollten abenteuerliche Geschichten erzählen, in denen auch das Faustrecht eine Rolle spielte. Wir haben das Umfeld der Handlung oft realistisch-düster geschildert. Gesetzlose waren mitleidlos, kalt und böse in ihren Handlungen, dafür waren die Vertreter der „Guten“ umso strikter in ihrer Moral. Im Vergleich zu anderen Western waren bei uns die Grenzen zwischen Gut und Böse schärfer gezogen. Das war der Unterschied, und das wirkte nach außen hin „härter“. Aber wir haben keinen Stoff für irgendwelche sadistischen Gewaltfantasien geliefert.
Die Regel war, dass die Darstellung von Gewalt eine logische Begründung haben musste. Wir wussten, dass die brutale Ausschmückung von solchen Szenen eine Rüge nach sich ziehen würde. Es war keine echte Beschränkung, sich daran zu halten. Die Geschichten mussten immer eine Moral beinhalten, wonach für den (jungen) Leser nachvollziehbar war, dass sich Unrecht und Gewalt nicht lohnt und den Schurken irgendwann die Strafe trifft.
Die Autoren haben sich ganz freiwillig an diese Regeln gehalten, und letztlich war der Bearbeiter, Wilhelm Kopp, der Filter, der solche Sachen entschärfte, wenn einem Autor wirklich mal die Pferde durchgegangen waren.

Zauberspiegel-Leser: Sie haben so manchen Text zu Marken-Serien beigetragen. Wie war das Schreiben dort organisiert? Gab es ebenfalls Exposés oder konnte jeder Autor seine Stoffe frei wählen?
Dietmar Kuegler: Ich habe beim Marken-Verlag nur das Grundkonzept der Serien erhalten. Werner Dietsch hatte fast alle Serien erfunden und dazu einen gewissen, überschaubaren Personalstamm entwickelt. Diese Unterlagen – nur wenige Seiten – erhielt jeder Autor. Und dann baute man darauf seine eigenen Geschichten auf, die üblicherweise in sich abgeschlossen waren. Fortsetzungen – wie bei Ronco – gab es fast gar nicht. Ich habe im 320-PS-Jim ab und zu Geschichten geschrieben, die über 2 Romane liefen. Aber das war selten.
Wie es bei den anderen Autoren war, weiß ich nicht, da ich so gut wie keinen Kontakt zu ihnen hatte. Mir hat Werner Dietsch immer freie Hand gelassen. Ich habe meine Geschichten geschrieben, wie ich wollte. Ich musste ihm vorher nicht mal sagen, was ich schreiben wollte. Er hat sich von jedem Manuskript überraschen lassen. Seine Aufträge kamen per Telefon in der Art: „Schreiben Sie als Nächstes einen ‚Tom Frisco’.“ Oder: „Ich brauche zwei Romane für ‚Union Pacific’ von Ihnen.“ Das war’s. Und dann habe ich geschrieben.

Zauberspiegel-Leser: Wie sehen Sie diese Marken-Serien, Lassiter oder auch Tombstone im Vergleich zu Ronco? Was eint und trennt die Serien?
Dietmar Kuegler: Zunächst mal gab es verschiedene Konzeptionen, dann spielte der Zeitgeist hinein, der Wandlungen unterworfen ist und von Genre-Romanen reflektiert wird, und natürlich auch der Einfluss neuer Autoren, die ihre Sicht in solche Serien hineintragen. Auch Sprache verändert sich im Laufe der Zeit, die Weltsicht verändert sich. Das alles trägt zur Entwicklung von Genre-Romanen bei.
Tombstone war eine erstklassige Ranch-Serie, zu der es eigentlich keine Parallele gab. Auch die „Red Rock Ranch“, an der ich mitgeschrieben habe, reichte nicht an Tombstone heran. Zumindest die erste Hälfte dieser Reihe war ein Spitzenprodukt.
Über Lassiter möchte ich schweigen – das sind in meinen Augen keine Western. Ich bin aber Profi genug, um zu sagen: Die Reihe ist erfolgreich, also erfüllt sie offenbar einen Bedarf, auch wenn das nicht meine Welt ist. Hier geht es nicht mehr um die Freude am Western, um die Geschichten, die diese Romangattung bedeutsam und zeitlos machen, sondern nur noch ums Geschäft. Das ist mir zu wenig. Vielleicht bin ich in dieser Beziehung naiv oder altmodisch geblieben. Das ist mir egal – mit 61 Jahren darf man das.
Ich bin aber auch ehrlich genug zuzugestehen, dass ich vermutlich auch solche Romane schreiben würde, wenn mir nichts anderes übrig bliebe. Ein freier Autor führt gerade heute kein üppiges Leben. Er muss auch seine Brötchen und seine Miete bezahlen. Die Situation, wegen des lieben Geldes etwas schreiben zu müssen, was man eigentlich nicht mag, ist mir im Laufe meines Lebens nicht fremd gewesen. Deshalb verurteile ich niemanden.
Letztlich bestimmt ja der Leser, was er haben will. Wenn er diese Romane ablehnen würde, gäbe es die Reihe nicht mehr. Also kann man weder Verlag noch Autoren dafür schelten, dass sie einen Markt bedienen.
Werner Dietsch hatte beim Marken-Verlag einige Serien entwickelt, die ich sehr gut fand und für die ich gern geschrieben habe, z. B. „Union Pacific“ oder auch „Western Wolf“.
Meine Grundsätze waren immer: Der Held muss eine Moral haben, er darf sich zwar manchmal auf der Grenze zwischen Gut und Böse bewegen – wir sind schließlich alle keine Engel –, muss aber immer wissen, dass der gerade Weg der bessere ist. Er darf sich nicht über Schwächere hermachen. Er muss zu seinem Wort stehen. Er darf Gewalt einsetzen, um sich und andere zu verteidigen, aber nicht, um sich daran zu erfreuen.

Zauberspiegel-Leser: Warum – denken Sie – konnten sich Indianerwestern wie „Die Rothaut“ oder auch die "Dan Oakland Story" sich nicht so recht durchsetzen?
Dietmar Kuegler: Das ist eine Frage, die ich mir auch immer wieder gestellt habe. Ich habe nämlich in meiner Zeit als Heftautor mehrfach mit der Idee gespielt, eine reine Indianer-Serie zu entwickeln. Wenn Sie sich meine Lobo-Taschenbücher anschauen – da stecken einige Ideen für diese angedachte Serie drin. Die Verlage haben solche Vorschläge nur mit spitzen Fingern angefasst. Dann kam bei Pabel irgendwann „Sundance“, und diese Romane liefen im Taschenbuch akzeptabel. Ich denke, dass hier zumindest ein Quäntchen Erklärung zu finden ist: Heft- und Taschenbuchleser sind nicht durchweg dieselben. Es ist meine Erfahrung, dass man im Taschenbuch einige Themen durchsetzen kann, die im Heft kein Publikum finden. Vermutlich wäre eine reine Taschenbuchserie mit Indianerromanen nicht schlecht gelaufen. Im Heftformat hat es nicht funktioniert.
Dazu muss ich ganz grundsätzlich aus meiner heutigen Kenntnis sagen: Kaum ein Autor damals konnte richtig gute Indianerromane schreiben. Die wenigsten kannten sich mit den verschiedenen Kulturen aus, kannten die Unterschiede, die Charakteristika der verschiedenen Völker. Vielleicht war „Sundance“ auch deshalb ein (zumindest mäßiger) Erfolg, weil schon das amerikanische Original fachlich so fundiert und authentisch war und auch die wenigen deutschen Autoren, die daran mitgewirkt haben, sich intensiv in die Materie eingearbeitet hatten.
Die meisten Heftromane mit Indianerthemen, die ich damals gelesen habe, hatten schwere sachliche Mängel. Nehmen Sie allein den Serientitel „Rothaut“ – „Red Skin“ war/ist ein Schimpfwort, eine Provokation, eine Verächtlichmachung. Der Erfinder dieses Serientitels hat sich vermutlich gar nichts dabei gedacht, hatte sicher keine bösen Absichten – aber er demonstrierte damit auch völlige Ahnungslosigkeit und Unkenntnis. So etwas stempelt eine Romanserie bereits ab.
Und dann gibt es offenbar ein Identifikationsproblem des durchschnittlichen Heftlesers mit einer indianischen Hauptfigur. Seit Winnetou hat es jedenfalls kein Autor mehr so richtig geschafft, einen indianischen Helden zu kreieren, den die Leser bedingungslos angenommen haben. Aber auch bei Winnetou war das Erfolgsrezept die Hinzunahme des weißen Blutsbruders Old Shatterhand, um eine größere Bandbreite der Abenteuer zu erreichen. Halbblutfiguren wie Sundance und Lobo haben beide Elemente in sich vereinigt und waren deshalb akzeptabel.

Zauberspiegel-Leser: Wie ist die Rolle des Indianers im Western-Heft zu bewerten? Ein Autor musste einmal eine Ablehnung hinnehmen, weil er die Indianer zu realistisch geschildert hat. Also: Wie wurde der amerikanische Ureinwohner im Westernheft behandelt?
Dietmar Kuegler: Dazu habe ich in der vorigen Frage schon einiges gesagt. Die Tatsache, dass die meisten Autoren in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren die Indianer meist sehr klischeehaft dargestellt haben, darf man ihnen nur bedingt ankreiden. Die amerikanischen Westernfilme, die vielfach Vorbild für den Roman in Deutschland waren, haben das Beispiel vorgegeben, und dann war in diesen Jahren das Indianerbild ganz generell noch sehr oberflächlich. Die indianischen Kulturen waren für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln. Es gab nur „die Indianer“ – d. h. alle waren ziemlich gleich. Entweder wurden Indianer als Edelmenschen dargestellt, die von barbarischen Pionieren betrogen und belogen wurden, oder als naive Wilde, die von brutalen Instinkten geleitet waren, aber immer salbungsvoll und mit wolkigen, vor scheinbarer Weisheit nur so wabernden Worten redeten, jeden seelischen und körperlichen Schmerz hinter einem stoischen Pokergesicht verbargen, niemals lachten und stattdessen eine gespreizte, unnatürliche Würde demonstrierten. Das war „indianisch“. Es gab einfach keine differenzierten, realistischen Romangestalten, die dem Indianer als normalem Menschen gerecht wurden.
Ich denke, dass die Reihe „Sundance“ hier eine Pionierrolle gespielt hat. Leider kam nichts Vergleichbares nach.

Zauberspiegel-Leser: Ist es aus den US-Filmen entlehnt, dass Helden aus der Hüfte schießen und auch noch treffen? Wie realistisch waren die Schieß- und Duellszenen?
Dietmar Kuegler: Nicht ganz unrealistisch, nur in der Menge der Darstellungen maßlos übertrieben. Heutige Reenactors haben bewiesen, dass man einen Revolver sehr schnell ziehen und von der Hüfte aus auf kurze Distanz ziemlich treffsicher schießen kann. Man nennt das „instinktives Schießen“: Der Schütze fixiert das Ziel mit den Augen und lässt seine Hand gewissermaßen dem Blick folgen.
Nur: Das erfordert enorme Übung. Munition war teuer. Nur wenige Menschen in der Pionierzeit konnten sich solche Übungen überhaupt leisten. Und bei Vorderladerrevolvern – die im Westen am meisten verbreitet waren – hing die Treffsicherheit dann auch noch von der exakten Ladung ab; diese Waffen streuten sehr stark. Es gibt eine Geschichte des berüchtigten Revolverhelden Clay Allison, der am Spieltisch in Streit mit einem Mitspieler geriet. Beide griffen zu den Waffen. Der Gegner Allisons hatte seinen Revolver offenbar schlecht gestopft. Er zog schneller, schoss, und die Kugel flog keine zwei Meter weit und plumpste vor Allison auf den Spieltisch. Allison hatte langsamer gezogen, gezielt – und er erschoss seinen Widersacher.
Die meisten Cowboys oder Farmer waren keine guten Revolverschützen. Sie hatten schwielige, von schwerer Arbeit gezeichnete Hände, die nicht so geschmeidig und beweglich waren wie die Hände von geübten Schützen. Revolver waren im Farmland – schon weil sie teuer waren – wenig verbreitet; denn Waffen wurden überwiegend zur Jagd, also auf weitere Distanzen, benötigt. Daher verfügten die meisten Menschen über Gewehre, die universell – zur Jagd und zur Verteidigung – einsetzbar waren. Und wer einen Revolver besaß, hat ihn sehr selten tief an der Hüfte getragen, weil das bei der Arbeit und beim Reiten gestört hätte.
Das schnelle Ziehen gehört ohnehin zum Klischee des Wilden Westens. Es gab natürlich „Gunmen“ wie Wild Bill Hickok, Billy the Kid, Ben Thompson, Wyatt Earp, deren Fähigkeiten als Schützen unbestritten hoch waren. Beschäftigt man sich aber mit deren Konflikten, kommt man bald zu der Erkenntnis, dass solche Kämpfe eher selten stattfanden, und dann wurden diese Auseinandersetzungen meist nicht vom „quick draw“, also dem schnellen Ziehen, entschieden, sondern von der Kaltblütigkeit und Nervenstärke dieser Männer.
Wer in eine lebensgefährliche Auseinandersetzung gerät, schüttet eine enorme Menge Adrenalin aus. Die Hände zittern, der Blutdruck steigt, das Blickfeld ist eingeschränkt, man ist aufgeregt. Innerhalb von Sekunden werden folgenschwere Entscheidungen gefällt.
Die große Überlegenheit eines Mannes wie Wyatt Earp etwa lag in seiner absoluten Nervenstärke, die von Zeitzeugen belegt wird. Er reagierte beherrscht. Statt den schweren Revolver unkontrolliert aus dem Holster zu reißen und loszuschießen, zielte er kaltblütig, feuerte und traf, während sein Gegner schon ein paar Mal vorbeigeschossen hatte. So war es im Duell am O. K. Corral in Tombstone. Die McLaurys und Clantons feuerten aus allen Rohren, während die Brüder Earp trotz des Kugelhagels sorgfältig zielten und dann auch trafen.

Zauberspiegel-Leser: Was hat das Westernheft eher beeinflusst: Das US-Kino, der US-Westernroman oder gar Karl May? Gibt es Spuren von May im Westernheft?
Dietmar Kuegler: Eindeutig haben Filme im Kino und Fernsehen den Westernroman am stärksten beeinflusst. Alle anderen Einflüsse kann man kaum messen. Ich bin ganz sicher, dass Karl May Spuren hinterlassen hat – bei mir auf jeden Fall, aber bestimmt auch bei anderen. Man kann das aber nicht im Detail festmachen. Die Moral der Helden, die Art, Probleme zu behandeln, bestimmte Handlungsweisen, und auch die Beschreibung von Land und Leuten sind sicher von May beeinflusst worden, auch wenn die Autoren das wohl eher unbewusst getan haben. Aber nichts wirkt stärker als visuelle Einflüsse, daher war der Film immer ein beherrschendes Element für jeden Westernautor.
 
Leser fragen Dietmar Kügler zu ...
... Wilden Westen und US-Geschichte (25. April 2012)

Kommentare  

#1 Alter Hahn 2012-04-18 02:29
Da ich einige seiner Sachbücher in meiner Bibliothek habe weiß ich, dass Dietmar Kügler absoluter Fachmann ist - von dem ich durch seine Bücher viel gelernt habe. Und über "Lassiter" kann ich seine Meinung teilen. Als die Zweitauflage kam, wurden meine beiden Lassiter durch andere Romane ersetzt. Beim Verlag nachgefragt kam von dort die Antwort, das wären ja "Edel-Western" gewesen, die "sie der Unger schreibt" - aber keine Lassiter-Romane. Ich habe das als Kompliment genommen.
Das "Aus" bei Lassiter kam bei mir eigentlich schon nach dem ersten Roman - wo ich den zweiten Auftrag aber schon fertig hatte udn der noch gebracht wurde. Im ersten Roman wurden nämlich Indienaer von schurkischen Weißen aufgehetzt - und jemand vom Verlag erklärte mir damals per Telefon, dass "im deutschen Heftroman Indianer eben blutgierige Wilde wären, die man eben abschießen müsse." Das ist allerdings schon 25 Jahre her und inzwischen hat sich diese Einstellung, wie ich in neueren Western feststellen kann, grundlegend gewandelt.
#2 Heinz Mohlberg 2012-04-18 21:57
Mal kurz zu Lassiter:
Damals Anfang der 70er sorgte Lassiter für den sogenannten Hosenspannereffekt - heute lacht man herzlich darüber. Ernst genommen habe ich Lassiter nie.
Gerne gelesen in den 60ern habe ich die Zauberkreis Western, Rodeo (an 1. Stelle) und dann Silber-WW. Die Bastei WW mochte ich auch, aber die Zauberkreis lagen mir mehr.
Was mich persönlich interssieren würde, wäre zu erfahren, ob es Informationen zum plötzlichen Serientod von Tombstone gibt?!?
#3 Advok 2012-04-19 02:35
Zur Einstellung von Tombstone: Ich glaube nicht, dass die Einstellung gar so plötzlich kam, wie du es darstellst, Heinz.

Die Serie machte doch einige deutliche Veränderungen durch, und Veränderungen heißen dann doch in der Regel, dass irgend etwas nicht so läuft, wie erwartet.

Die mir aufgefallenen Veränderungen bei Tombstone:

- Johnny Bruck kam als Titelbilderzeichner immer seltener zum Einsatz;
- Abschaffung des Sammelspeudonyms Peter Burnett mit Nr. 62 -
- was einherging mit einem Autorenteam (Peter Dubina dürfte bei den ersten 62 Bänden schon sehr stark vertreten gewesen sein, während danach nur noch wenige Peter Burnett-Nummern erschienen sind);
- zwei Tombstone-Taschenbücher bei den Moewig-Western - und hier vermute ich, dass dies nicht geschah, weil die Heftserie so erfolgreich lief, sondern um eventuell eine andere Leserschicht auf die Heftserie aufmerksam zu machen und sie so zu retten.

Zu ziehender Schluss: So ganz überragend lief Tombstone nie - und wenn die Redaktion dann auch noch auf die Verkaufszahlen von Perry Rhodan geschiehlt hat (siehe Rota-Seite von Tombstone 1) war die Hürde wohl einfach zu groß.
#4 Andreas Decker 2012-04-19 13:32
Ein tolles Interview!

Zitat:
Die Geschichten mussten immer eine Moral beinhalten, wonach für den (jungen) Leser nachvollziehbar war, dass sich Unrecht und Gewalt nicht lohnt und den Schurken irgendwann die Strafe trifft.
In einem Satz das Problem des sog. Jugendschutzes deutscher Prägung perfekt illustriert. Massenunterhaltung, vor allem wenn sie junge Leser tangiert, hat letztlich erzieherisch und staatstragend zu sein. So war das in den 70gern, als noch breite Schichten lasen.
#5 Dietmar Kuegler 2012-04-19 14:54
Bzgl. der Frage von Herrn Mohlberg betr. "Tombstone": Ich kann mich in diesem Fall nur auf Kurt Bernhardt beziehen, da ich Ende der 1960er Jahre noch nicht direkt involviert war.
Wie ich in ersten Teil meines Interviews sagte, werden Roman-Serien von Menschen gemacht. Menschen sind keine Maschinen, Autoren schon gar nicht. Autoren sind im Gegenteil durch ihre Kreativität empfindliche Lebewesen. Peter Dubina hatte zeitweise große persönliche Probleme. Tragisch für dieses große Schreibtalent. Daher die Entwicklung, die "Advok" völlig richtig schildert. Bernhardt sagte mir auch, daß die Reihe nach einem guten Start erfolgsmäßig abrutschte. Auch das war der hier geschilderten Entwicklung geschuldet. Insofern kam die Einstellung tatsächlich nicht ganz "plötzlich".

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